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Geschenkt

Nikolaus sitzt in der dritten Reihe. Jesus guckt vom Kreuz hinab. Es ist einer von diesen Coca-Cola-Nikoläusen, Zipfelmütze und weißer Bart. Natürlich hat er keinen Hirtenstab dabei. „Was machst du hier?“, fragt Jesus, der sich unter der Woche über etwas Unterhaltung freut. „Mich aufwärmen. Hat ja sonst nichts auf.“ „Stimmt“, murmelt Jesus, „der Lockdown. Darfst Du in diesem Jahr überhaupt zu den Kindern? Die vielen Wohnungen, die Aerosole ...“ Nikolaus schüttelt den Kopf. „Hat kaum jemand gebucht. Die Leute bestellen Geschenke im Internet.“ Er sieht sehr niedergeschlagen aus. „Du könntest mir was schenken“, sagt Jesus. Er hat schon lange nichts mehr geschenkt bekommen. „Wo du schon mal hier bist ...“

 

„Hmm ...“, brummt Nikolaus in seinen Bart und beginnt, im Geschenkesack zu kramen. „Was davon könnte Dir wohl gefallen?“ Damit er eine bessere Übersicht bekommt, und weil auch sonst niemand da ist, der sich daran stören könnte, beginnt er, der Reihe nach die Geschenke auszupacken und neben sich auf der Bank auszubreiten.

„Handcreme?“ Er schaut zum Kreuz, verzieht das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen und sagt dann: „Keine gute Idee.“

„Eine Glitzer-Haarspange?“ Er hält sie prüfend in das Licht, legt sie aber auch neben sich ab. „Nee, passt nicht zu dir.“

„Eine Spielzeugpisto ...“, er stockt mitten im Wort, legt das Plastikteil weit von sich und sieht zerknirscht zu Jesu auf. „Tut mir leid! Aber damit spielen Kinder gerne.“

„Nicht nur Kinder“, seufzt Jesus.

„Aber das hier könnte etwas sein: eine Duftkerze.“ Er schnuppert dran, hält sie dann Jesus entgegen. „Die riecht nach Zimt.“

„Naja, Kerzen habe ich hier eigentlich schon genug“, antwortet Jesus.

Nikolaus schaut sich um. „Hast recht“, sagt er und legt die Duftkerze auf die Bank. 

Seine Hand verschwindet wieder im Jutesack und zieht ein knittriges Blatt Papier hervor. „Ach nee, das nicht“, murmelt er und stopft den Zettel in seine Manteltasche.

„Was ist es denn?“, fragt Jesus neugierig.

„Ach“, erwidert Nikolaus, „das ist gar kein Geschenk. Ein Junge hat mir den Zettel zugesteckt, drüben bei der Flüchtlingsunterkunft. Ist irgendwas draufgeschrieben ...“ Er zieht das Stück Papier wieder hervor, faltet es auseinander und betrachtet es lange, „ ... aber es sind nur komische Buchstaben in merkwürdiger Schrift darauf. Ich kann das überhaupt nicht lesen.“ Er zuckt die Schultern und will den Zettel gerade wieder zusammenknüllen.

„Stopp“, ruft Jesus, „wenn es dir nichts ausmacht, zeig mir das Blatt doch mal!“

„Von mir aus.“ Stöhnend steht Nikolaus auf und tritt nach vorne zum Kreuz. Er hält Jesus den Zettel entgegen. „Kannst du das lesen?“, fragt er.

„Ja“, sagt Jesus. „Danke, dass du mir den Zettel gebracht hast. Würdest du ihn mir hierlassen? Als Geschenk?“

Nikolaus stutzt. „Was steht denn drauf?“

„Es ist ein Wunschzettel von einem syrischen Jungen“, antwortet Jesus.

Nikolaus wehrt ab: „Aber dann ist das doch kein Geschenk für dich.“

„Ach, irgendwie doch“, sagt Jesus. „Er erinnert mich, warum es gut ist, dass ich hier bin. Er ruft mir ins Bewusstsein, wozu ich das alles auf mich genommen habe.“

Nikolaus schaut Jesus fragend an. „Was wünscht er sich denn?“

Es dauert einen Moment, ehe Jesus antwortet. 

„Frieden!“

 

inspiriert durch das Adventsschreiben von Susanne Niemeyer / Freudenwort.de

Bild: Gänseblümchen / pixelio.de

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Diana (Samstag, 05 Dezember 2020 20:54)

    Super! Gefällt mir sehr!