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Aussicht

Das massive C. stellt sich ständig in den Weg. Wie ein Tourist, der sich nach vorn drängelt, um die beste Aussicht zu haben und dann doch nicht zu gucken.

Ich bin genervt. Mir gelingt es nicht, einen Blick dran vorbei zu werfen. Ich recke den Kopf mal links, mal rechts. Versuche, mich irgendwo durchzumogeln. Nichts klappt. Vor mir bleibt vehement das große C. im Blickfeld. Es wirft seinen Schatten auf alles, was ich dahinter erkennen kann. Alles und jedes scheint davon verdunkelt zu werden. Doch ich bin sicher, ganz dicht hinter dem wuchtigen C. ist ein heller Lichtfleck, eine Oase in der Dunkelheit, etwas Vielversprechendes, worauf ein Auge zu werfen mir verweigert wird. 

Ich erinnere mich an manche Touristenschlange, ich der ich stand. Ich kann noch sehr gut nachempfinden, wie die Ungeduld langsam in mir anschwoll, während der Zeit, die ich rumstand und mich fragte, ob es sich überhaupt lohnte. Und die Enttäuschung, wenn die vermeintliche Attraktion sich letztlich als winzig, unbedeutend und nicht nach meinem Geschmack entpuppte.

Trotzdem. Ich will an diesem C. vorbei. Ich muss wissen, worauf es mir den Blick verstellt. Ich verlange, dass es mir aus dem Weg tritt, am besten ganz aus den Augen verschwindet! 

Wie ein trotziges Kleinkind hole ich aus und versuche, es zu treten. Wäre doch gelacht, wenn es nicht zu verjagen oder wenigstens ein bisschen kleinzukriegen wäre. Doch ich richte mit meiner Wut, meinem Gezappel, meiner Ungeduld und meinem Geschimpfe rein gar nichts aus. Das robuste C. steht weiter im Weg.

Ich setze mich auf den Boden, schlage die Hände vors Gesicht und spüre der Verzweiflung und Traurigkeit nach. Ich seufze.

Da – plötzlich – als ich mich wieder aufrichte, erhasche ich einen winzigen Moment lang einen Blick auf den hellen Fleck hinter dem monströsen C. Zu meiner Überraschung steht dort noch ein C. Viel kleiner, unscheinbarer und weniger streitbar. Ich stutzte, als ich bemerke, dass der riesengroße Schatten, der alles verdunkelt, von diesem kleinen C. ausgeht.

„Siehst du“, sagt der Engel neben mir, „die verpassten Chancen sind gar nicht so groß, wie du immer denkst. Du musst dir davon nicht die ganze Laune verderben lassen.“ 

 

inspiriert vom Adventsschreiben mit Susanne Niemeyer / Freudenwort.de

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Kommentare: 1
  • #1

    Diana (Donnerstag, 10 Dezember 2020 19:48)

    Sehr schön!