„Vielleicht habe ich eine bipolare Störung", seufzt der Advent und lässt sich auf die Couch sinken. Sein Gegenüber lächelt ihn aufmunternd an, also fährt er fort. „Eigentlich bin ich besinnlich, doch alles in mir ist unruhig und hektisch. Normalerweise bin ich eine dunkle Seele, die nur langsam beginnt zu erstrahlen. Doch heutzutage .... BÄM ... gehen immer alle Lichter gleich volle Pulle an.“ Um deutlich zu machen, wie heftig das ist, boxt der Advent kräftig in eines der fluffigen Kissen neben ihm auf der Couch. Sein Gegenüber bleibt unbeeindruckt.
„Ich diene der Geduld und der Vorbereitung und kann gleichzeitig nicht schnell genug ans Ziel kommen. Ich liebe Geschichten und Musik, verabscheue aber diesen ganzen Kitsch auch irgendwie.“ Der Advent verstummt und zwirbelt nachdenklich einen Kissenzipfel um den Zeigefinger. „Ich bin eigentlich der Fingerzeig, doch ich habe vergessen, worauf.“ Versonnen schaut er aus dem Fenster, vor dem ein Schwarm Mücken tanzt. „Alles irgendwie verkehrt“, sagt der Advent und schließt resigniert die Augen.
Der Engel im Sessel gegenüber lächelt. „Genau dafür gibt es dich. Damit alle mit ihren überfordernden Gleichzeitigkeiten, unlogischen Gefühlswelten und irrationalen Sehnsüchten einen Ort finden, zu dem sie gehören. Oder eine Zeit. Oder ein Gegenüber. Du bist der Fingerzeig darauf, wie unperfekt diese Welt ist. Und es zeugt von deiner Empathie, dass du diese Zerrissenheit fühlst.“
„Dann ist das gar keine Störung?“, fragt der Advent.
„Nein“, antwortet der Engel, „es ist deine Stärke.“
„Ach“, sagt der Advent und schaut den Engel lange an. „Na, wenn das so ist, mache ich wohl einfach weiter.“ Er gähnt. „Aber lass mich noch kurz ein Nickerchen machen. So eine Stärke ist ganz schön anstrengend und die Couch ist einfach zu gemütlich.“ Er stopft sich das Kissen unter den Kopf, schließt erneut die Augen und beginnt kurz darauf zu schnarchen.
Der Engel schmunzelt, während er den Advent zudeckt. „Dein Licht kommt“, flüstert er ihm zu. „Und am Ende sage ich es auch für dich: ‚Fürchte dich nicht!‘“
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Iris (Dienstag, 10 Dezember 2024 11:34)
Danke für diese Einsicht in die Gefühlswelt des Advents.