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Sternenzauber

Der Stern streckte die Hand aus, und Ilsa blieb nichts anderes übrig, als sie zu ergreifen und mitzukommen. Einen letzten prüfenden Blick warf sie ihrer Mutter zu. Die war so versunken in das Gespräch mit dem Verkäufer, dass sie weder den Stern bemerkt hatte, noch, dass Ilsa ihre Hand los ließ. „Ich komme gleich wieder“, hätte Ilsa ihr wohl zugerufen. Doch Ilsa sprach nicht. Kein Wort. Noch nie. Sie könnte, sagten die Ärzte. Aber aus Ilsas Kehle war noch nie auch nur ein Geräusch gedrungen. 

 

Auch der Stern hatte nicht gesprochen. Er hatte Ilsa zugezwinkert und ihr die Hand entgegengestreckt. Nun zog er Ilsa hinter sich her, schlängelte sie durch die Menschenmengen in den vollen Straßen der vorweihnachtlichen Stadt, entlang an Buden und Karussells, bis sie endlich in eine dunkle Gasse abbogen. Ilsa hatte keine Angst. Sie hatte ja den Stern. Der strahlte und ließ auch die Gasse sachte schimmern. Der Stern führte Ilsa zu einer kleinen Mauer, bedeutete ihr, sich zu setzen, und ließ ihre Hand los. Mit einem kleinen Hüpfer verschwand er in der Luft, stieg hoch und höher, bis er zuletzt am Ende der Gasse über allem schwebte und sein Licht auf Ilsa und die Dunkelheit fallen ließ. 

Ilsa sah sich staunend um. Das nasse Kopfsteinpflaster glänzte, blinde Fensterscheiben spiegelten das Licht des Sterns in tausend Funken, die tanzend durch die Luft flogen. Es war, als würde der Stern sie dirigieren und ihnen anzeigen, welche Muster und Kunststücke sie glitzernd zeigen sollten. Ilsa erkannte hoppelnde Hasen, dicht gefolgt von stolzen Hirschen. Ein Schlitten glitt vorüber, Kinder liefen Schlittschuh, in einem Haus erstrahlte ein Weihnachtsbaum. Ilsa klatschte in die Hände und folgte gebannt der Vorstellung. 

 

Der Schreck war groß, als Ilsas Mutter bemerkte, dass ihre Tochter verschwunden war. Ängstlich und aufgeregt rannte sie zwischen den Buden hin und her, fragte jede und jeden, ob jemand ihr kleines Mädchen gesehen hätte. Immer lauter und schriller wurde ihre Stimme, immer hektischer ihr Schritt. Als sie gerade aufgeben und die Polizei alarmieren wollte, fiel ihr Blick in eine kleine Gasse. Dunkel und unscheinbar lag sie da, unbeachtet vom Trubel der Stadt. Doch dort, am Rand auf einer kleinen Mauer, sah die Mutter ihre Ilsa sitzen. Langsam und verdutzt schritt sie auf sie zu. Ilsa hatte den Kopf in den Nacken gelegt, ihre Augen strahlten in den Himmel, und aus ihrem Mund klang glucksendes Lachen. 

 

Als ihre Mutter staunend neben ihr stand, Tränen in den Augen, und ein ungläubiges Staunen im Gesicht, ergriff Ilsa ihre Hand und deutete nach oben. „Schau mal, Mami“, sagte sie. Oben am Himmel dirigierte der Stern eine letzte Pirouette, ehe er verschwand. Nicht aber, ohne Elsa und ihrer Mutter noch einmal zuzuzwinkern.

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