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Urlaub auf Abwegen - zweiter Teil

Das Wohnmobil hielt und Ole sah auf. Sein Vater war schon ausgestiegen und begann den Camper zu betanken. Geräusche vom Heck des Fahrzeugs verrieten Ole, dass die Trulla ihre Tasche suchte. Auf das Drama hatte er keine Lust. Er schnappte seinen Rucksack, stieg aus und verschwand um die Ecke auf der Rückseite des Gebäudes. Im Schatten eines knorrigen Busches setzte er sich auf einen Bordstein,  fischte einen Joint aus seinem Rucksack, zündete ihn an und nahm ein paar tiefe Züge. Gerade als seine Schultern herabsackten und ein Anflug von Entspannung durch seinen Körper wogte, kam die Frau fluchend um die Ecke. 

„Das darf doch wohl nicht wahr sein. So ein Mistkerl!“ Sie verschwand in der Toilette, ohne ihn zu bemerken.

Ole nahm einen weiteren Zug von seinem Joint, atmete bewusst langsam aus und grinste in sich hinein. Er wusste genau, worüber sie so aufgebracht war. Nachdem letztes Jahr ein Kanister im Stauraum ausgelaufen war, roch alles, was länger als fünf Minuten da drinnen gelegen hatte, nach Benzin. Also vermutlich jetzt all ihre Klamotten. Ein lautes Lachen schlüpfte aus seinem Mund.

Das ihm gleich darauf verging, als sein Vater zornesrot vor ihm stand und ihm den Joint aus der Hand schlug. 

„Spinnst du jetzt total?“, polterte er. Ole war nicht sicher, was er meinte.

„Hä?“, fragte er darum nur.

Sein Vater griff nach seinem Arm und zog ihn auf die Füße, derweil er den glimmenden Joint mit dem Fuß zermalmte.

„Der war doch nur zur Entspannung“, nölte er.

Georg verpasste ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. „Zur Entspannung, ja klar“, höhnte er. „Wenn hier einer Entspannung nötig hat, dann bin das ja wohl ich. Bentje ist stinksauer.“

„Da kann ich ja nix dafür.“

Wieder ein Klaps, fester dieses Mal. „Das hast du doch mit Absicht gemacht. Du weißt genau, dass es da unten drin stinkt wie Sau.“

„Ich? Woher denn?“

„Wer hat denn letztes Jahr den Kanister nicht richtig zugedreht?“ Der dritte Klaps, der die Worte begleitete, tat tatsächlich weh. Ole hob die Hände zur Abwehr.

„Hey!“ Die Trulla war vom Klo zurück und stand mit aufgerissenen Augen neben ihnen. „Schluss!“, sagte sie und drückte Oles Hände herunter. „Was soll das denn?!“, fragte sie seinen Vater, ohne eine Antwort abzuwarten. Sie wandte sich der Tankstelle zu.

„Also, entweder wir fahren jetzt gleich zurück. Oder ihr zwei vertragt euch und wir machen uns alle gemeinsam ein schönes Wochenende.“ Sie schaute erwartungsvoll von einem zum anderen. 

Georg strahlte, hakte sie unter und marschierte mit ihr in Richtung Wohnmobil. „Na also! So kenne ich meine Bentje. Immer das Beste aus der Situation machen. Natürlich fahren wir nicht zurück.“ Er warf einen Blick nach hinten. „Kommst du, Ole!“ Es war mehr Befehl, denn Frage.

Ole rollte mit den Augen. Die Trulla war noch dümmer, als er gedacht hatte. Das konnte ja heiter werden. Seufzend schnappte er seinen Rucksack und folgte den beiden.

 

*****

 

Die Fahrt dauerte nahezu vier Stunden. Bentje beobachtete Georg unauffällig beim Fahren. Ihr gefiel sein kantiges Kinn und der entschlossene Blick unter den dunklen Augenbrauen. Beides vermittelte ihr den Eindruck von Sicherheit und Stärke. Etwas, das sie bei Männern mochte. Dass Georg gleichzeitig im Umgang mit seinem Sohn derart unbeholfen war, machte ihn in ihren Augen nur reizvoller. Er war eben nicht perfekt, aber dafür umso liebenswerter.

Ole würde das sicher auch erkennen, wenn sie diese Tage zusammen verbrachten. Sie würde darauf achten, dass die beiden manierlich miteinander auskamen.

Bentje warf einen Blick nach hinten zu Ole. Der war wieder unter seiner Kapuze verschwunden, das Smartphone in der Hand und tippte eifrig darauf herum. Sie tickte ihn an und bedeutete ihm, die Kopfhörer abzunehmen. Seine Miene verriet keine Regung, als er ihrer Bitte nachkam und sie anstarrte.

„Was spielst du denn da?“, fragte sie. „Darf ich mal sehen?“

Er zog das Handy dichter an seine Brust. „Nein“, sagte er nur.

Sie hob abwehrend die Hände. „Okay. Sagst du mir denn wenigstens, was du spielst?“

„Gar nichts“, erwiderte er.

„Für ‚gar nichts‘ tippst du aber erstaunlich viel drauf herum“, schaltete sich Georg ein. Bentje legte ihm besänftigend eine Hand auf den Oberschenkel und schüttelte kaum merklich den Kopf. 

„Ich spiele nicht, ich chatte“, giftete Ole.

„Ach so“, sagte Bentje. „Mit deiner Freundin?“

„Nein“, motzte Ole. „Und überhaupt, was geht es dich an?“

„Ole“, zischte sein Vater drohend.

„Schon gut“, beschwichtigte Bentje. „Er hat ja recht. Es geht mich tatsächlich nichts an.“ Sie zwinkerte Ole zu. „Ich entschuldige mich für meine Neugierde.“

„Sonst noch was?“, fragte Ole und setzte die Kopfhörer wieder auf.

„Puh“, seufzte Bentje leise und zog die Augenbrauen hoch. „Da ist aber jemand zugeknöpft.“

Georg sah zu ihr herüber. „Du kannst toll mit Kindern umgehen“, sagte er.

„Ich weiß nicht“, kicherte Bentje. Sie fühlte sich geschmeichelt. „Ich habe ja gar nichts aus ihm rausgebracht.“

„Mehr als ich allemal“, sagte Georg und lächelte ihr zu. „Lassen wir ihm einfach noch ein bisschen Zeit. Er wird schon auftauen.“

Bentje nickte versonnen. Sie war da nicht so sicher.

 

*****

 

Bevor sie zum Essen aufbrachen, musste Georg ein Machtwort sprechen. Bentje, deren Wechselkleider nach Benzin stanken, war zum Supermarkt des Campingplatzes gegangen, um eine Wäscheleine zu kaufen. Sie hoffte, eine Nacht an der frischen Luft würde den Gestank vertreiben. Georg hatte Ole gebeten, Bentje wenigstens bis morgen mit einer Hose und einem Pullover auszuhelfen.

„Spinnst du?“, hatte Ole erwidert. „Ich gebe der doch nicht meine Klamotten.“

„Du bist doch auch schuld, dass sie keine eigenen zum Wechseln hat!“, beharrte Georg.

„Dann lässt sie die Klamotten eben an. Ist mir doch egal.“

„Du weißt so gut wie ich, dass es am Abend für ihren kurzen Rock zu kalt wird. Ich will nicht, dass sie krank wird.“

„Dann gib ihr doch was von deinen Klamotten.“

„Die sind ihr alle drei Nummern zu groß“, konterte Georg. „Nun mach schon!“

Ole verschränkte der Arme vor der Brust. „Kommt überhaupt nicht in Frage“, sagte er.

Georg setzte einen raschen Schritt auf seinen Sohn zu. Während der den Kopf einzog, um einem neuerlichen Klaps auszuweichen, griff Georg blitzschnell nach dem Handy seines Sohnes. Zu überrascht verlor Ole es aus den Händen.

„Gib das sofort wieder her!“, brüllte er.

Georg steckte das Handy in die Gesäßtasche seiner Jeans. „Das kannst du später wiederhaben. Jetzt suchst du erst einmal eine Hose und ein Shirt für Bentje raus!“

Er sah die Wut in den Augen seines Sohnes blitzen und rechnete mit einer weiteren patzigen Widerrede. Doch Ole drehte sich wortlos um, zog eine zerknitterte Jogginghose und ein Langarmshirt in Fleckentarnmuster aus dem Rucksack und schmiss beides seinem Vater vor die Füße.

Georg hob es auf und fixierte seinen Sohn. „Jetzt hör mir mal gut zu. Ich habe Bentje ein schönes Wochenende versprochen. Und ich gedenke, dieses Versprechen zu halten. Du sollst schon auch noch deinen Spaß haben, glaub es mir. Aber jetzt erwarte ich von dir, dass du dich zusammennimmst und wir zu dritt und in Frieden zu Abend essen können. Danach kriegst du meinetwegen dein Handy zurück. Aber nur, wenn du dich die nächsten zwei Stunden vernünftig benimmst. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

Bentje war zwar über die Kleiderauswahl nicht allzu glücklich. Doch nachdem Georg ihr versichert hatte, wie hinreißend sie trotz des eigenartigen Aufzuges aussah, entspannte sie und schlenderte mit ihm und Ole zum Restaurant.

Als Georg seinem Sohn erlaubte, Bier zu bestellen, wurde letztlich sogar Ole etwas zugänglicher. Endlich. Georg schöpfte Hoffnung, dass ihr Wochenende doch noch halten könnte, was er sich davon versprochen hatte.

 

*****

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