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Fragen

„Wo bleibt die Freude?“, fragt die Ungeduld und schaut sich hektisch um. Alle sind versammelt: Die Besinnlichkeit zündet Kerzen an, die Gemütlichkeit verteilt Sitzkissen auf den Holzbänken, die Sehnsucht pfeift ein Lied, die Erinnerung blättert in Fotoalben und die Liebe schaut ihr dabei lächelnd über die Schulter. Nur die Freude lässt auf sich warten.

„Sie hat doch aber eine Einladung bekommen, oder?“ hakt die Ungeduld nach.

Die Sehnsucht unterbricht ihr Pfeifen: „Natürlich, ich habe ihr persönlich Bescheid gesagt.“

„Sie wird schon noch eintrudeln“, sagt die Gemütlichkeit.

„Letztes Jahr war sie auch spät dran“, merkt die Erinnerung an.

Die Besinnlichkeit stellt die zuletzt entzündete Kerze auf den Tisch. „Sie wird mit deiner Schwester auftauchen, sobald wir alles bereitet haben und du dich entspannst.“ Sie zwinkert der Ungeduld zu.

„Richtig“, sagt die und erschrickt, „die Geduld fehlt auch noch Das habe ich gar nicht bemerkt.“

Die Liebe legt der Ungeduld sanft eine Hand auf den Rücken. „Nicht alles, was wir aus dem Blick verlieren, ist für immer fort. Setz‘ dich zur Gemütlichkeit und Besinnlichkeit an den Tisch und trinke einen Tee mit der Sehnsucht und der Erinnerung. Und ehe du dich versiehst, werden die Geduld und die Freude bei dir sein.“

Die Ungeduld stöhnt, tut aber wie geheißen. Beim dritten Becher Tee gelingt es ihr, etwas zu entspannen. Sie schließt die Augen und lauscht den Schilderungen der Liebe, die gemeinsam mit der Erinnerung Geschichten erzählt. Die Sehnsucht seufzt hin und wieder, sonst lauschen alle still.

Bis plötzlich jemand laut applaudiert. „Was für eine schöne Geschichte!“, ruft die Freude.

Die Ungeduld schreckt auf und entdeckt ihre Schwester, die Geduld neben sich auf der Bank. „Da seid ihr ja endlich“, wispert sie, während die Freude noch immer die Worte der Liebe lobt.

„Natürlich“, flüstert die Geduld zurück, ihren Blick strahlend auf die Freude gerichtet. „Du weißt, wie empfindlich sie ist. Aber irgendwann überzeuge ich sie trotzdem jedes Mal, dabei zu sein. Vertrau mir!“

Die Ungeduld ächzt. „Das sagt sich so leicht.“ Doch dann lehnt sie sich zurück und überlässt der Freude die Bühne.

Es wird ein wunderbarer Advent.

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Kommentare: 3
  • #1

    Diana (Freitag, 09 Dezember 2022 15:02)

    Sehr schön! I like!!!!

  • #2

    Ina (Freitag, 09 Dezember 2022 16:19)

    Was für eine schöne Geschichte

  • #3

    Ich (Freitag, 09 Dezember 2022 17:11)

    Woher nimmst du nur immer diese wundervollen Gedanken