· 

Hereinspaziert

Als der Advent hereinkommt springe ich rasch zur Seite, damit ich nicht von ihrem Schild erschlagen werde. Sie stellt es kopfüber an der Wand ab, tritt den Schnee von ihren Schuhen und haucht warmen Atem auf ihre frostig roten Hände. 

„Einen Tee könnte ich gut vertragen, ehe wir losgehen“, sagt sie. 

Entgeistert starre ich sie an. „Losgehen? Wohin denn?“ 

Ich werfe einen Blick auf ihr Schild, ein riesiges Plakat, festgeklebt an einem rauhen Holzvierkant. Mühsam versuche ich, die auf dem Kopf stehenden Wörter darauf zu entziffern. „GEGEN DIE“ lese ich, da zieht der Advent mich mit sich in die Küche. „Zuerst den Tee bitte, mir ist echt kalt!“

Sie lässt sich auf einen der Stühle fallen und reibt ihre Hände an den Oberschenkeln. „Du musst unbedingt Handschuhe anziehen“, sagt sie. „Ich habe meine blöderweise vergessen. Du hast nicht vielleicht noch welche, die du mir leihen könntest, solange wir unterwegs sind?“

Ich stehe noch immer sprachlos in meiner Küche und starre sie an.

„Unterwegs?“, stammele ich. 

„Den Tee, Liebes?“ Der Advent lächelt mich an.

Als stünde ich unter Hypnose und hätte einen Befehl erhalten, tappe ich zum Wasserkocher, fülle ihn, stelle ihn an, gebe Tee in das Sieb, hänge es in die Teekanne, greife einen Becher aus dem Schrank, stelle ihn vor den Advent und frage: „ Milch und Zucker?“

„Honig, wenn du hast. Danke!“

Erst als der Tee fertig gezogen ist und dampfend vor dem Advent auf dem Tisch steht, habe ich meine wirbelnden Gedanken zu vollständigen Sätzen sortiert. 

„Sind wir verabredet? Was haben wir denn vor? Und was soll das riesige Schild draußen im Flur?“ 

„Verabredet?“, fragt der Advent zurück. „Naja, so lose“, sagt sie und zwinkert mir zu. „Du weißt doch, dass ich jedes Jahr um diese Zeit vorbeikomme. Die letzten Male hattest du nie Zeit für mich und bei Adventsplätzchen und Glühwein drinnen rumsitzen sei sowieso nicht so deins. Außerdem seist du mit viel wichtigeren Dingen beschäftigt. Gut, da habe ich mir also für dieses Jahr etwas anderes überlegt.“ 

Nervöses Kribbeln beginnt in meinem Bauch zu schwappen. Ich mag keine Überraschungen bei denen etwas von mir erwartet wird. Misstrauisch frage ich darum: „Und was hast du dir überlegt?“ 

Der Advent trinkt einen Schluck Tee und strahlt mich an. „Ich dachte, wir verbringen etwas Zeit miteinander und tun gleichzeitig etwas Wichtiges – eine WIN WIN Situation also!“

Das misstrauische Kribbeln erreicht meinen Hals und lässt meine Stimme zittern, als ich frage: „Das Wichtige, das wir tun – was ist das?“ 

Der Advent lehrt den Becher, stellt ihn auf dem Tisch ab und erhebt sich schwungvoll. „Wir gehen demonstrieren. Komm!“ 

Sie eilt mir voraus in den Flur, hebt ihr Schild auf und dreht es um, so dass ich endlich lesen kann, was darauf steht: 

 

GEGEN DIE DUNKELHEIT 

WIR HOFFEN 

GESEGNET JEDE KERZE

 

„Vergiss die Handschuhe nicht!“, sagt der Advent, wirft mir meine Jacke entgegen und zieht mich mit sich hinaus.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0