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Engel der Gelassenheit

Noch nie hat ihn jemand laut erlebt, den Engel der Gelassenheit.

Ebenso wenig sieht man ihn eilig, hin und her huschen.

Er verliert nie die Fassung.

Nichts bringt ihn aus der Ruhe.

Meist sitzt er entspannt da, hört zu, fragt interessiert nach.

Sein Lächeln ist echt, seine Zähne schief.

Manchmal probiert er etwas Neues aus – Socken, Stricken zum Beispiel.

Doch irgendwann lässt er es wieder.

Manchmal hilft er, fast irgendwo mit an, hat Tipps im Gepäck.

Aber meistens ist er eben einfach nur da.

Strahlt Ruhe aus und Frieden.

Ganz ohne etwas zu tun.

Ohne Anstrengung. 

 

Leider treffe ich ihn nur selten.

Er lässt sich auch nicht auf feste Verabredungen ein.

„Termine machen mich nervös, das ist nichts für mich“, sagt er. 

So warte ich oft vergebens auf ihn.

Sehne ihn herbei.

Spüre die Wut in mir brodeln, wenn er sich lange nicht blicken lässt.

Formuliere im Kopf schon meine Beschwerde, die er zu hören kriegen soll, wenn er das nächste Mal reinschneit. 

 

Heute ist er da.

Unerwartet aufgetaucht.

Er sitzt neben mir im Fellstuhl, schaut aus dem Fenster und dann strahlend zu mir.

„Schön hast du’s hier.“

Recht hat er.

Ich vergesse meine Klage.

Ich setze mich neben ihn und lasse seine Ruhe auf mich wirken.

Spüre, wie sie tief in mich eindringt.

Krusten aufbricht.

Mauern zum Einsturz bringt. 

Ich atme.

Ich lächle.

Ich schaue. 

„Schön, dass du da bist“, sage ich und lehne mich zurück.

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Kommentare: 1
  • #1

    Martina (Dienstag, 12 Dezember 2023 17:06)