Nein

Nachdem Maria „Nein“ gesagt hatte, zog Gott sich in seinen Lieblingssessel zurück und dachte nach. Sollte er Marianne fragen? An sie hatte er zu Beginn seiner Überlegungen schon einmal gedacht. Sich aber dann zu Gunsten von Maria gegen sie entschieden. Sollte er diese Entscheidung revidieren? Aber er hatte ja gute Gründe gehabt, Maria zu wählen. 

Wenn sie nicht wollte, sollte er das ganze Vorhaben vielleicht abblasen? Einen Stellvertreter seiner selbst auf Erden – vielleicht war das doch keine so gute Idee? Einige der Engel hatten ihm von Anfang an davon abgeraten. Gott als Mensch – wie profan. Und welcher Gefahr er sich selbst damit aussetzen würde. Womöglich erkannten die Menschen nicht, wen sie da vor sich hatten. Oder sie verstanden ihn falsch. Oder – schlimmer noch – intrigierten gegen ihn. 

Doch all diese Bedenken hatten Gott nur noch mehr angespornt, sein Vorhaben zu verwirklichen. Wie sollte er den Menschen seine Liebe deutlich machen, wenn er nicht als einer von ihnen, dasselbe erlebte, wagte, erduldete und erlitt, wie alle anderen auch. Die Idee war gut. Davon war er fest überzeugt. Und nun machte Maria ihm einen Strich durch die Rechnung und sagte nein. 

Vielleicht sollte er sich darüber einfach hinwegsetzen? Immerhin, er war Gott. Er brauchte ihre Einwilligung nicht. 

Gott seufzte und schüttelte den Kopf, um diese Wut, die ihn immer mal wieder überkam, wenn seine Geschöpfe seine guten Pläne zerstörten, loszuwerden. 

Wut war nicht hilfreich. Das hatte er spätestens seit der Sintflut verstanden. Und er wäre auch kein gutes Vorbild, wenn er den Willen und das Leben einer Frau, die er liebte, mit Füßen trat. Es musste eine andere Lösung her. Nur welche? 

Er könnte Jesus aus einem Stück Lehm formen und einfach auf der Erde platzieren – das hatte bei Adam ja auch funktioniert. Oder er könnte einen der Engel auswählen, ihm die Flügel abnehmen und ihn als seinen Stellvertreter auf die Erde schicken. 

Er verwarf beide Ideen gleich wieder. Nichts davon war die „Menschwerdung Gottes“, die er sich ausgemalt hatte. 

Offenbar war es ihm nicht gelungen, diesen seinen Traum Maria so deutlich zu machen, dass in ihr dieselbe Sehnsucht wuchs, die er verspürte. Was war da nur schiefgelaufen? 

Und dann, ganz plötzlich, hatte er die Lösung. Nein heißt nein – ganz klar! Aber es heißt nicht, dass er keinen zweiten Versuch starten durfte. Er hatte Maria seinen Plan erzählt, die hard facts, ihre Rolle, die Zukunft von Jesus ausgemalt. Aber er hatte ihre Sehnsucht nicht geweckt. Nach einem Kind, diesem Neuanfang, der Möglichkeit, Teil der Veränderung zu sein, Frieden zu bringen und Hoffnung. Für alle! 

Während er noch überlegte, welchen Boten er mit seiner Nachricht noch einmal zu Maria senden sollte, kam einer seiner Lieblingsengel eilig auf ihn zugelaufen. Er winkte heftig, rief ihm Unverständliches entgegen, verhedderte sich im Saum seines Gewandes, stolperte vorwärts, ruderte mit den Armen, fing sich wieder, hastete weiter und blieb endlich schnaufend vor Gott stehen.

„Gott …“, sagte er und sog gierig Luft in seine pumpenden Lungen. „ … gute … Nachrichten … Maria … hat … sie will … anders …“ Er keuchte. Gott hielt vor Spannung die Luft an und wartete mit großen Augen, dass die Worte des Engels Sinn ergäben. Der beugte sich vor, stützte sich auf seinen Knien ab und atme stoßweise ein und aus. Endlich erhob er sich, sah Gott in die Augen, atme tief ein und sagte: „Maria hat es sich anders überlegt. Sie macht’s!“